"Ich weiß durchaus, dass mir Gott einen scharfsinnigen Geist verliehen hat!"

 

Hrosvitha von Gandersheim

 

 

Badestelle Brunshausen:

So geht Eintauchen in die Quelle Hrosvitha!

 

 

Talent ist Gabe,

deshalb ist Mitteilung Pflicht.

Gott habe ihr nun einmal die Gabe der Dichtkunst verliehen,

sagte die Frau mit dem funkelnden Esprit.

 

Mitteilung war für Hrosvitha auch ein Akt der Selbstvergewisserung.

 

Sie hatte Freude am geistigen Eros

und seiner Erfüllung im schöpferischen Akt.

 

Hrosvithas Thema ist die schöne Seele zwischen Licht und Schatten.

Ihre Dramen erzählen das Gleichnis vom verlorenen Sohn aus weiblicher Blickrichtung.

 

Hrosvithas verlorene Tochter

erlebt noch einmal das Drama des Sündenfalls.

Sie verstrickt sich in die Welt des schönen Scheins

und verliert ihre wahre Bestimmung.

 

Doch ist Hrosvitha zuversichtlich,

dass der Mensch noch in der größten Ferne

von Gottes Gegenwart durchdrungen werden kann.

Sein Geist will den edlen Menschen bilden,

deshalb tut Erziehung not.

 

Hrosvitha ist Deutschlands größte Dichterin

vor Annette von Droste-Hülshoff und Agnes Miegel.

 

Sie lebte im Kloster Brunshausen als Kanonissin

oder "Jungfrau ohne Schleier" ("virgines non velatae").

"Jungfräulichkeit" war vor allen Dingen eine

spirituelle Kategorie.

 

 

 

Die mystische Rose am Hildesheimer Dom

 

 

Das Kloster wurde 852 von Graf Luidolf und seiner Frau Oda

als Kloster und Familienstift des sächischen Grafengeschlechtes der Liudolfinger gegründet.

Odas Mutter Aeda hatte in einer Vision den Ort der Klostergründung geschaut.

 

Feministische Teamarbeit wurde auch von Odas Töchter geübt.

 

 Die hochbegabten Schwestern

Hathumod, Gerberga I. und Christina

leiteten nacheinander das Kloster.

 

Oda starb 913 im Alter von 107 Jahren,

"und ihre Seele ging hinüber in den Himmel in der seligen Hoffnung auf die Zeit,

da der Geist des Lebens zurückkehren und ihr Leib,

der jetzt unter der harten Decke ihres Grabes neben den Gabmälern ihrer Töchter ruht,

sich vollkommen wiederhergestellt aus dem Staub erheben wird."

 

So berichtet Roswitha in ihrem Buch

"Die Anfänge des Klosters Gandersheim"

(Übersetzung: Fidel Rädle)

 

 

 

Hezilo-Leuchter im Hildesheimer Dom: Alle Wege führen in den Himmel

 

 

Hrosvitha wurde um 935 geboren. Ihre Spur verliert sich nach 973.

 

Vielleicht heiratete sie einen Prinzen aus Byzanz.

Vielleicht hatte sie sich ausgeschrieben.

Vielleicht zog sie als Inklusin nach Irmenseul.

 

Deutschlands erste Dichterin war mit dem Hochadel ihrer Zeit vernetzt.

Sie sprach und schrieb Lateinisch und konnte sich mit der

purpurgeborenen Königin Theophanu,

Herrscherin und Mutter Ottos III. ,

auf Griechisch unterhalten.

Theophanus Töchter Adelhaid und Mathilde wurden in Ganderheim erzogen.

 

In Hrosvitha pulsiert Theaterblut.

Ihre Stücke werden als Lesedramen bezeichnet,

die während der Mahlzeiten im Kloster vorgetragen wurden.

Sie skizzieren eine Handlung,

die vielleicht auch auf der königlichen Bühne in einer Pfalz

durch Improvisation ins Leben

gerufen wurde. 

 

Hrosvitha lebte und schrieb vor der ersten nachchristlichen Jahrtausendwende.

Unter den Ottonen herrschte Aufbruchsstimmung

wie sie auch in der bernwardinischen Kunst zum Ausdruck kommen wird.

 

In ihrer Komödie "Abraham" beschreibt Hrosvitha

die Irrwege einer schönen Seele.

Die Botschaft des Mysteriendramas ist zeitlos:

 

So wie der Funke aus dem Feuerstein niemals die Wellen des Meeres entflammen kann,

so wenig können alle bitteren Irrtümer und Irrwege des Menschen

die geistige Süße der Liebe Gottes versauern.

 

Die geistige Süße ist ein spiritueller Schlüsselbegriff der Zeit.

Er verbindet die Welt der Engel mit der Welt der Menschen.

 

 

 

Kloster Brunshausen

 

 

Hrosvitha von Gandersheim „Abraham“ (VII.11):

 

„quia, sicunt scintilla silicus pelagus nequit inflammare,
iat nostrorum acerbitas peccaminum
divinae dulcedinem benignitatis
non valet inmutare.“

 

"Denn so,

wie der Funke eines Feuersteins ein Meer nicht entflammen kann,

kann die Schärfe unserer Sünden

die Süße von Gottes Gnade nicht schmälern."

 

 

Rosvithas Werk war über 500 Jahre vergessen.

Im Jahr 1493 wurden ihre Dichtungen in einem Kloster entdeckt und 1501 ediert.

Willibald Pirckheimer pries Hrosvitha:

 

"Wenn Sappho wegen ihres süßen Gesangs

die zehnte der Musen ist,

so ist Hrosvitha die elfte."

 

Hrosvithas Gesamtwerk ist ins Französische, Italienische und Spanische übersetzt worden.

Eine moderne deutsche Übersetzung fehlt.

 

Hrosvitha hätte mit diesem Schicksal nicht gehadert:

 

"Wenn ich aber niemandes Beifall finde,

so freut doch wenigstens mich selbst,

was ich geschaffen."

 

(Übersetzung: Fidel Rädle)

 

 

Hinweis:

Hrotsvit von Gandersheim. Primordia coenobii Gandesheimensis. Übersetzt von Fidel Rädle.

Wallstein Verlag 2016.