Tobit, der Blogger,
engagiert sich für mehr Schutz gegenüber Falschmeldungen in der Blumenberg-Forschung
Es trifft immer die Guten, die treuen Seelen, die stillen Helfer. Wer gedenkt ihrer? Axel gehörte zum A-Wurf seiner Mutter, wie der Name dem Hundekenner sogleich verrät. Axel war ein Engel auf vier Pfoten. Doch finden sich in den Büchern der Wissenschaftler leider viele falsche Angaben über ihn. Rüdiger Zill zum Beispiel schreibt gleich zu Beginn seiner Biographie, Axel Colly sei 1942 bei der Bombardierung Lübecks gestorben (S. 7 "Die Familie überlebte, nur der Collie Axel kam um."). Nein, es war doch der kleine schwarze Schnauzer von Frau Blumenberg! Axel Colly war damals noch nicht geboren worden. Auf S. 157 zitiert Zill einen Brief des Meisters an Ludwig Landgrebe. Da spricht er von dem lebenden Axel, der ihm als Namensgeber treu zur Seite steht: "wobei mir unser Hund seinen Namen als Pseudonym herleihen muß".
Axel hieß er, nicht "Alex" wie Franz Josef Wetz im Nachwort zu dem Reclam-Heft "Nachahmung der Natur" (S. 80) schreibt. Nun gut. Ich bin kein Philosoph. Mein Blick auf die Welt ist eher kynischer Natur.
Axel Colly kann ich gut riechen. Viele Jahre lag er neben dem Schreibtisch des Philosophen. Für eine alte Spürnase wie mich ist seine Aura auch nach 75 Jahren im alten Eichenholz wahrnehmbar. Axel Collys bester Freund hieß Hans. Sie wohnten in Bargteheide. Axel und Hans waren ein Herz und eine Seele. Das weiss ich von Tobias und Dadini. Wenn Axels dichtes, weiches und seidiges Fell in der Badewanne gewaschen wurde, hielt Hans den Kopf fürsorglich zwischen den Knien. Ja, so geht Freundschaft!
Einmal sprang Axel irgendwo auf der Bahnstrecke zwischen Lübeck und Hamburg aus dem fahrenden Zug. Niemand kennt den Grund. Aber gewiss wusste dieser Samariter im Hundefell, was er tat. Wochen später tauchte er aus seinem Einsatz wieder auf. Zu Recht wurde er „der Herrliche“ und „der Wunderbare“ genannt. So berichtet es mir mein Namensbruder Tobias. Axel war auch "der Hörende", "der Sehende", "der Dankbare", "der Wachsame". Hundefreunde und -freundinnen wie Tobias, Miriam oder Undine kennen die 99 Namen der Liebe, die ich hier aus Platzgründen nicht vollständig auflisten möchte.
Ende des Zweiten Weltkrieges setzte die Haltung eines Collies ein deutliches Zeichen. Denn der Colly war der Widerpart von Blondi. Ein Hund von Welt, zuerst beheimatet in England und Amerika, kein Schäferhund, von denen über 200000 durch den Fronteinsatz missbraucht wurden.
Axel war ein Sohn des Nordens wie sein Name belegt. Akseløya oder Axel-Insel heisst eine kleine Insel vor Spitzbergen (https://data.npolar.no/placename/fd8556d3-b192-5bcd-a58d-528c1ff8a921). Aksel - so nennen die Dänen den Königssohn Abschalom ("Vater des Friedens"). "Mein Sohn Abschalom!" (2. Samuel 19.1b) bedeutet "Mein Sohn Axel" oder genauer "Mein Sohn Aksel". Die Dänen schreiben "Aksel" - wie auch der Name des großen dänischen Sängers Aksel Schiøtz (https://www.youtube.com/watch?v=u4pGwBYsI6g) belegt. Daher wundert es nicht, wenn in einigen überlieferten Dokumenten aus jenen schweren Jahren die dänische Schreibweise gepflegt wird. Doch genug der Namenskunde!
Viele Menschen haben Vertreibung, Flucht oder Gefangenschaft überlebt, weil sie wussten, daheim wartet ein treuer Freund wie Aksel! Wer denkt bei einem Hund wie Axel nicht an jenen treuen Gesellen, der wie ein Engel den jungen Tobias ins Leben begleitete! Wer hat nicht die „Ärzte mit der Zunge“ (Meinolf Schuhmacher. Ärzte mit der Zunge. Leckende Hunde in der europäischen Literatur. 2003) vor Augen, die dem armen Lazarus die Wunden leckten!
Ach, was wissen die Menschen schon von unserer grenzenlosen Treue! Lasst euch belehren von Theodor Fontane und dem Neufundländer Rollo und lest „Effi Briest“ oder schaut auf den Spitz Bambilo! Von Axel Colly gibt es keine Photos. Er hielt es mit dem ersten Gebot. Das wollen wir gerne respektieren und Euch hier den Spitz Bambilo präsentieren. Sein Fell wurde in der Badewanne von Oma Selma mit Persil gründlich gereinigt.
Der Spitz Bambilo mit dem jungen Engelforscher und zwei Freunden (1959)
Legenden ranken sich um Axel. Doch betreiben wir keine Arbeit am Mythos, sondern stellen uns den Tatsachen! Collys sind Familienhunde - klug, loyal, sanftmütig, diskret.
Axel war in allem ein Musterbeispiel eines Collys und stand Lassie in keiner Weise nach. 1943 kam Lassie an der Seite der zehnjährigen Elizabeth Taylor in die amerikanischen Kinos. Der Film hieß „Lassie come home“, in der deutschen Synchronisation des Jahres 1950 „Heimweh“.
Später folgten weitere Filme und eine Serie, die auch im deutschen Fernsehen über zwei Jahrzehnte lief. Lassie war ein Hunde-Mädchen, wurde aber wegen der größeren Felldichte von einem Rüden gespielt, der in der Genitalregion ein Toupet trug. Aus Sicht der Genderforschung gilt Lassie heute als der erste diverse Hund. (Vgl. dazu: Judith Butler. Körper und Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin 1995. S. 169: "Es gibt kein Subjekt vor seinen Konstruktionen, und genausowenig ist das Subjekt von seinen Konstruktionen festgelegt.")
Axel aber war durch und durch Rüde - wie ich. So sehr Rüde, wie man es heute an Universitäten nicht mehr sein darf. Er war bienenfleißig, strebsam, ja arbeitswütig und immer konzentriert bei der Sache. Der Universalgelehrte kannte sich in allen nur denkbaren Themen der Zeit aus. So lag es nahe, dass Axel Colly Schriftsteller wurde. Zwischen 1952-1955 schrieb er gut vierzig Feuilletons, teilweise zeitgleich mit der englischen Lassie-Fernsehserie, die ab 1954 ausgestrahlt wurde und 588 Folgen erreichte. Warum Axel Colly seine Arbeit für das deutsche Feuilleton einstellte, erklärt sich aus dem nie versiegenden Strom seiner theoretischen Neugierde: 588 Feuilletons hätten ihn einfach gelangweilt. In der Langeweile aber sah Axel Colly eine der größten Gefährdungen von Mensch und Tier.
Tobit, der Autor dieses Beitrags, während der Recreation
Mit seiner Leidenschaft für Literatur und Philosophie steht Axel Colly nicht allein. Ich erinnere nur an Cipión und Berganza, die Hunde aus dem Auferstehungshospital in Valladolid, deren philosophisches Gespräch von Miguel de Cervantes Saavedra veröffentlicht wurde. Freudianer wussten einst, dass Sigmund Freud unter dem Pseudonym des Hundes Berganza einen Briefwechsel - teilweise in spanischer Sprache - mit seinem Freund Eduard Silberstein führte. Silberstein war natürlich der Hund Cipión.
Axel Colly besaß in hohem Maße die Fähigkeit zur Konzentration. Gerade deshalb hatte er sehr viel Zeit für den kreativen Müßiggang. Das klingt paradox und ist es auch. Hört, wie dieser Diogenes auf vier Pfoten den Tag verbrachte! (vgl. Heinrich Niehues-Pröbsting. Der Kynismus des Diogenes und der Begriff des Zynismus. 1979) Axel konnte viele Stunden in scheinbarer Trägheit neben dem Schreibtisch liegen, um dann in vollendeter Anspannung sämtlicher Nervenzellen in kürzester Zeit eine Höchstleistung zu vollbringen.
„Wie schafft dieser Hund es nur, so viele Artikel in kürzester Zeit zu schreiben - und das neben allen anderen Verbindlichkeiten?“ Diese Frage wurde immer wieder gestellt. Axel Colly hat sie indirekt - wie es seiner Art entsprach - in einem Artikel für die Düsseldorfer Nachrichten vom 12. Juni 1954 beantwortet. „Der Student in Zeitnot“ lautet der Titel.
Studenten geraten bei ihrem Studium in Zeitnot, sagt Axel Colly, weil sie einfach zu viel Zeit haben und so im Studium zu viel herumdaddeln statt sich scharf zu konzentrieren, wenn es darauf ankommt. Die Zeitnot des Studenten sei „die Kehrseite einer zeitverschleudernden, zutiefst ‚zerstreuenden‘ Lebensform. Es ist eine alltägliche Erfahrung, daß das Geheimnis der seltenen Menschen, die immer Zeit zu haben scheinen, in der Fähigkeit zur Konzentration liegt. Der heutige Student muß so auffallend viel arbeiten, weil es ihm an dieser Fähigkeit fehlt.“
Ein Hund vom Schlage Axel Collys lebt aus diesem Geheimnis der Konzentration. Das kann ich nur bestätigen. Ich habe auch immer Zeit. Wie Axel Colly liebe ich Herausforderungen. Examina in der Hundeschule bei Liane Venturi waren für mich ein reines Vergnügen. Natürlich war ich der Klassenbeste, das will ich hier freimütig bekennen. Leistung soll sich an Schulen und Universitäten wieder lohnen! Wir sollten weniger über Exzellenz reden, als exzellent sein. So kann ich aus eigener Erfahrung Axel Colly nur zustimmen, wenn er schreibt:
„Das Examen ist ein einzigartiger Faktor der Konzentration: ein oder zweimal im Studium sich ganz ‚zusammennehmen‘ zu müssen, auf Ausflüchte und Vorwände verzichten, Vermögen und Ausdruck in ein genaues Verhältnis zu zwingen - das ist doch ein Modell entscheidender Situationen des Lebens selbst.“
Ja und Amen! kann ich da nur sagen und Euch zurufen: Habt auch Ihr Mut zur Exzellenz! Wir brauchen mehr Leistungsbereitschaft und -freude an Schulen und Universitäten. Wir brauchen keine Schulpsychologen, Ergotherapeuten, Schulbegleiter und „Reformhyänen“ (Axel Colly), sondern klare Leistungsanforderungen, an denen die Jugend Orientierung und echte Herausforderung findet. Daher plädiere ich für den flächendeckenden Einsatz von zertifizierten Therapie- oder Exzellenz-Hunden an europäischen Bildungsstätten. Lernen mit Axel Colly bedeutet:„Sachlichkeit, Blick für das real Gegebene, Übersicht über verfügbare Möglichkeiten, Voraussicht gegenüber großen Ansprüchen“.
Ein mutiger Erzieher, dieser Axel Colly! Ich stehe freimütig, dass er mir ein Vorbild ist. Ohne ihn hätte ich niemals den Mut gehabt, als Tøbit japanische Touristen durch HC Andersens Odense zu führen. Seht selbst:
Das bin ich als japanisch-dänischer Reiseleiter vor der Statue des tapferen Zinnsoldaten:
Tøbit, der Blogger (Odense 2018)
Auch ein Großer wie Axel Colly stand auf den Schultern von Riesen. Niemand wusste dies besser als er. Deshalb gab er in vielen Aufsätzen und Büchern Zeugnis von seinen Anregern. Zu ihnen gehörte Friedrich Hebbel.
Im Frühjahr 1839 wanderte Friedrich Hebbel zu Fuß und ohne Geld mit seinem Hund von München nach Hamburg. Die Tage waren extrem kalt und bald bluteten die Füße von Hebbels Hund. So trug er ihn streckenweise auf Händen durch Deutschland.
Friedrich Hebbel war ein junger Schriftsteller aus Wesselburen in Dithmarschen. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und lebte von den Zuwendungen seiner Freundin Elise Lensing, die ihm später zwei Kinder schenkte. Mit seinem Hund auf den Armen kehrte er bei einem Bauern ein und bat um eine Tasse Boullion zur Stärkung für sein Hündchen. Das Tier konnte die Gabe vor Erschöpfung nicht trinken. Der Bauer aus der Gegend von Soltau meinte, der Hund werde die kommende Nacht nicht überleben. Hebbel solle alleine weitergehen und das Tier dem Bauern überlassen. Er werde es erlösen. Erlösen hieß erschlagen. Mit Tränen in den Augen verließ Hebbel den Bauernhof. Mit ihm sein Hund. Er trug ihn bis Hamburg auf dem Arm und rettete so sein Leben.
„Die Welt: die große Wunde Gottes", notierte Friedrich Hebbel in Erinnerung an die Reise mit dem Hündchen (Tagebuch vom 6. März 1843). Hebbel wuchs mit Hunden auf. Einen Hund zu kaufen, fehlte das Geld. So fanden herrenlose Tiere bei ihm Zuflucht. Ihre Nahrung sparte sich das Kind von den eigenen Mahlzeiten ab. Denn die Lebensmittel in seinem Elterhaus waren knapp. Zu Hebbels Hunden gehörte ein Pudel. Wenn er krank war, durfte er das Tier mit in sein Bett nehmen.
Hebbels Hund Caro wurde ausgesetzt, als er größer und größer wurde und nicht mehr ernährt werden konnte. Das war die Wunde, die in Friedrich Hebbels Seele blutete. Sie setzte in dem Kind zugleich das verborgene Talent zur Dichtung frei. Die ersten Gedichte des Sechsjährigen sind Grabgesänge auf Tiere.
Caros Schicksal wird Hebbel ein Leben lang bewegen. In einem vielstrophigen Gedicht erinnert er sich an den Hund, der gehen musste, weil das Geld zu seiner Ernährung fehlte:
„Er erhielt von jedem Bissen
Seinen Theil, den ich bekam,
Und er war mir so ergeben,
Daß er selbst die Kirschen nahm.
Aber allzu bald nur trübte
Uns der heitere Himmel sich,
Denn er hatte einen Fehler,
Diesen, daß er wuchs, wie ich.
Und an ihm erschien als Sünde,
Was an mir als Tugend galt,
Da man mich um’s Wachsen lobte,
Aber ihn um’s Wachsen schalt.
Immer größer ward der Hunger,
Immer kleiner ward das Brot,
Und der Eine konnte essen,
Was die Mutter Beiden bot.
Als ich eines Morgens fragte,
Sagte man, er wäre fort
Und entlaufen wie mein Hase,
Doch das war ein falsches Wort.
Noch denselben Abend kehrte
Er zu seinem Freund zurück,
Den zerbißnen Strick am Halse,
Doch das war ein kurzes Glück.
Denn, obgleich er mit in’s Bette
Durfte, ach, ich bat so sehr,
War er Morgens doch verschwunden,
Und ich sah ihn niemals mehr.
Ward er an die Eisenkette
Jetzt gelegt von seinem Herrn,
Oder fiel sein Loos noch härter,
Weiß ich nicht, doch er blieb fern!
Blick’ ich in die tiefste Ferne
Meiner Kinderzeit hinab,
Steigt mit Vater und mit Mutter
Auch ein Hund aus seinem Grab.“
Zu den Hunden in Hebbels Umkreis gehörte auch der Neufundländer eines Pastors. Der Geistliche hatte die Begabung des jungen Hebbel entdeckt und nahm ihn in seine Obhut. Hebbel hatte Büroarbeiten zu erledigen. Dafür durfte er im Pfarrhaus wohnen und bekam etwas zu essen. Der Pastor konnte sich die Fütterung eines gewichtigen Neufundländers leisten. Das große Tier hörte auf den Namen Monarch. Es suchte Hebbels Nähe und wich ihm bald nicht mehr von der Seite. Nach einem Roman von Laurence Sterne gab ihm Hebbel zwei weitere Vornamen. Yorik Sterne Monarch hieß nun der Hund, der Hebbel im Büro und auf den Spaziergängen stets begleitete.
Das gutmütige Tier ließ allerlei Späße mit sich machen. Wenn Hebbel Besuch erwartete, setzte er Monarch gerne auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch, befestigte ihm eine Schreibfeder hinter dem Ohr und setzte ihm eine alte Brille auf. Vor Monarch legte er ein Buch über Kirchenrecht und kommentierte die Inszenierung:
„Mein ehrwürdiger Yorik Sterne Monarch wiederholt das Corpus juris und gedenkt demnächst zu promovieren; er ist wahrlich dem Ziele weit näher, als ich dem meinigen.“
Hebbel, das erwarteten seine Förderer, sollte sich durch ein Jura-Studium eine Grundlage für seinen Lebensunterhalt schaffen. Er ging das Wagnis der Existenz eines freien Schriftstellers ein. Seine ersten Gedichte veröffentlichte er unter dem Namen seines tierischen Freundes Yorik Stern Monarch.
Unser Blogger Tobit auf seinem Leseteppich
bei der Lektüre der Jubiläumsausgabe der Fundgrube (12/2020)
Von eigenen Gedichten weiß die Axel-Colly-Forschung nichts. Axel Colly hat sich an keiner Stelle seines Werkes über Hunde geäußert oder gar eine Philosophie der Tiere vorgelegt. Ihn deshalb zu tadeln wäre völlig daneben. Ist es nicht so, meine Lieben, dass wir die Dinge, die uns wirklich am Herzen liegen, nicht leichtfertig teilen möchten?
Euer Tobit, Deutschlands erster Hunde-Blogger
Literaturhinweis: Hans Blumenberg alias Axel Colly. Frühe Feuilletons (1952-1955). In: Neue Rundschau 4/2019. S. 9-123. Zitate aus: Der Student in Zeitnot. S. 65-69.