Aus dem Vorwort:
Apostasie eines Engels
Denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.
Offenbarung 12,12
Über Engel und Dämonen hätte ich wahrscheinlich nie geschrieben, wäre ich in Münster nicht Hans Blumenberg (1920–1996) begegnet. Das Mitteilungsblatt für Werkstattberichte aus seinem Wohnort Altenberge war die Neue Zürcher Zeitung, dessen Feuilleton sich damals unter Martin Meyer auch theologischen Horizonten öffnete. Hier veröffentlichte ich mein Vorspiel künftiger Engelforschung unter dem programmatischen Titel Der Engel Flügel wachsen hören. Kapitel einer Angelologie der Jahrtausendwende.
Wer mit dem Teufel essen will, so heißt es in einem der zahlreichen Sprichwörter über den Gefallenen Engel, benötige einen langen Löffel. Vor allen Dingen braucht er eine höhere Heiterkeit und die Gewißheit, daß die Lage wohl ernst, aber nicht hoffnungslos ist. Alle Teufel waren ursprünglich Engel. Ist das ein Trost oder bekommt das Bild des Engels etwas Abgründiges und Unheimliches, eine Disposition zu unerwartetem und unergründlichem Wechsel des Charakters, wie ihn Heinrich von Kleist immer wieder beschreibt?
Der Gefallene Engel ist der erste Konvertit zum Bösen. Wieviel Engel-DNA mag noch im Teufel vorhanden sein? Wird dieser Anteil zu einer möglichen Absolution ausreichen? Vielleicht könnte der Teufel zur Besinnung kommen und umkehren, damit am Ende alle wieder eins sind. Aber ist er zu diesem Bußgang einer Rückkehr-Ökumene bereit?
Das sind Fragen von hoher Bedeutsamkeit zur Einschätzung der Chancen, Gefallene Engel durch Mission und Bußpredigt, durch persönlichen Einsatz, Gremien- und Sozialarbeit zu inkludieren, integrieren und resozialisieren. Dazu braucht es Entschiedenheit und Mut zu manchmal unpopulären Entscheidungen, Wehrbereitschaft und klare Ansagen, aber vor allen Dingen Ausdauer, Geduld und Gelassenheit. Gerade in Grenzsituationen und aussichtslos erscheinender Lage gilt Luthers Diagnose: »Wo zwanzig Teufel sind, da sind gewiss einhundert Engel. Wenn dem nicht so wäre, wären wir schon längst zugrunde gegangen.« Das Verhältnis von Engeln zu Teufeln wäre also 5:1. Damit ließe sich leben, zumindest voller Zuversicht über den Gefallenen Engel schreiben.