
- Details
- Uwe Wolff
- Klimawandel
- Zugriffe: 141
HC Andersen liebte Kinder.
Dieses Mädchen heisst Lilly und wirbt für Konfirmationskleider
in einem Geschäft direkt neben der St. Knuts Kathedrale von Odense.
In ihr wurde Andersen konfirmiert.
Der japanische Architekt Kengo Kuma war eine gute Wahl
für die Planung des neuen Hans-Christian-Andersen-Museums.
Viele Besucher kommen aus Japan und lassen sich von Andersen unterhalten und belehren.
Dies ist der Museumsbau.
Im Hintergrund sieht man an der Fassade eine Christusdarstellung.
Unter dem Kopfhörer von Bang & Olufsen eröffnet sich eine akustische Dimension,
die noch wunderbarer scheint als diese kleine Elfe der Inspiration.
HC Andersen war ständig unterwegs.
Er hatte einen Fluchtreflex und trug immer ein Seil im Reisekoffer.
Ein Mann in seinem Widerspruch.
HC Andersen liebte viel. Eigentlich immer. Aber wen oder was?
Ein Lehrer von Graden.
Bis heute haben es die Dänen geschafft,
ihren Nationaldichter von allen üblichen Vorwürfen und Verdächtigungen freizuhalten.
Einer kennt den Weg der Wandlung.
HC Andersen schrieb Erlösungsmärchen.
Märchenwelten medial und interaktiv.
Du bestimmst die Größe Deines Schattens!
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern kannst Du auferstehen lassen!
Durch diesen Knopf.
Aber warum?
Ausgerechnet die Kammer der kleinen Meerjungfrau ist geschlossen.
Das hässliche Entlein bist Du.
Schau in den Spiegel!
Das Geburtshaus des Dichters ist in das Museum integriert.
Was vom Raum geblieben ist:
Knut IV. (1043-1086), der Heilige, ist in der nach ihm benannten Kathedrale begraben worden.
Der Märtyrer ist der Schutzpatron Dänemarks (19.01. dies natalis) bis auf den heutigen Tag.
In ganz Skandinavien wird der 13. Januar als St. Knuts-Tag gefeiert.
Da schmeisst man die Weihnachtsbäume aus dem Fenster auf die Straße,
wie wir von der IKEA-Werbung wissen.
- Details
- Uwe Wolff
- Klimawandel
- Zugriffe: 174
Rano Achunowa gründete die erste Waldorfschule in Tadschikistan.
Eine Deutschlehrerin in einem muslimischen Land russischer Prägung.
Engel kennen keine Grenzen.
Der Beruf führte mich ins östliche Niedersachsen, nicht weit entfernt von der Grenze zur DDR. Es war das Jahr 1987. Mit drei kleinen Kindern wohnte ich in dem Dorf Solschen zwischen Braunschweig und Hildesheim. In dieser Landschaft hatte Friedrich von Spee gewirkt, hier war er überfallen und schwer verwundet worden. Das Dorf besaß eine Kirche, in der 800 Gläubige bequem Platz gefunden hätten. Das Gotteshaus wurde Anfang des 19. Jahrhunderts erbaut und dem Heiligen Pancratius geweiht. Aus dieser Zeit stammten auch die emaillierten Schilder mit den Namen der Stifter. Sie markierten nun die leeren Sitzplätze.
Dieser Ort sollte für mich zu einer Erfahrung werden. Jeden Sonntag versammelte sich hier eine Gemeinde von fünf, manchmal zehn Gläubigen. Keine Ermunterung vermochte sie zu motivieren, gemeinsam in der ersten Bank Platz zu nehmen. Ein junger Organist spielte selbstverliebt sein Instrument. Vom Gesang der Gemeinde war nichts zu hören. Die Gläubigen senkten ihr Haupt, als hätte sie eine große Scham ergriffen. Eine an Erstickung grenzende Sprachnot breitete sich auch in anderen Gemeinden aus.
1985 hatte ich erste Erfahrungen als Religionslehrer an der Ursulaschule in Osnabrück gesammelt. Schulleiter war damals Pater Werinhard Einhorn OFM. Er hatte über das Einhorn in der Kunst des Mittelalters promoviert. Jeden Morgen wurde ein Gottesdienst gefeiert. Methodische Anregungen für die Gestaltung von Schulgottesdiensten gab es zuhauf. Aber schnell merkte ich bei der Lektüre dieser Arbeitshilfen, dass sie oftmals nur ein Ausdruck des Mangels eigener Frömmigkeit und inwendigen Lebens waren und sich deshalb in Äußerlichkeiten verloren. Schüler aber haben einen untrüglichen Blick für das Authentische.
Wer Gottesdienst feiern will, darf den Weg nach Innen nicht scheuen. Pater Werinhard war auch hier ein Lehrmeister. Einmal erzählte er von einer Unruhe, die ihn ergriffen hatte. Zur Vorbereitung einer Andacht suchte er in den Geschäften der Bischofsstadt Osnabrück nach einem Geige spielenden Engel. Er wollte ihn der Schulgemeinde zeigen, um anschaulich über das Gotteslob und die Musik der Engel zu predigen. Eine Firma aus dem Erzgebirge stellt jene Engel her, die zur Weihnachtszeit die Wohnzimmer schmücken. Engel dienen vielerorts als Nachfolger der Laren und Penaten. Sie dekorieren Wohn- und Schlafzimmer, sie schmücken Gräber und Gartenteiche. Aber fördern sie auch unseren Lobgesang? Pater Werinhard hatte damals seine Suche nach dem Engel des Lobpreises ohne Ergebnis abgebrochen. „Was suchst Du eigentlich?“, hatte er sich gefragt. „Warum brauchst Du einen singenden Engel, wo Du und Deine Schüler doch selbst singen können!“ Die kleine Geschichte wurde für mich zum ersten Schritt der Begegnung mit einem großen Geheimnis: Der wahre Gottesdienst beginnt im Herzen. Denn wie das Einhorn, so liebt Gott die Verborgenheit und die große Stille. Niemand vermag durch List und Gewalt das Einhorn zu fangen. Doch wer in seinem Herzen ganz stille wird und andächtig, zu dem kommt es und bettet zärtlich sein Haupt in den Schoß.
Gott ist ein stiller Gott. In meiner Dorfgemeinde aber war es beängstigend still. Deshalb sang ich besonders laut und dachte dabei an jene alten Männer in den Gottesdiensten meiner Kindheit. Einer genügte, der seine Stimme erhob, und ich fühlte mich sicher und geborgen.
An den Bänken der Solschener Kirche leuchteten die weißen Namensschilder jener Familien, die in diesem Gotteshaus einst das „Großer Gott, wir loben dich!“ aus 800 Kehlen vielstimmig gesungen hatten. Ich schaue auf die Schilder und las die Namen. Da war es mir, als riefen die Schilder ihre Namensträger herbei: Wo seid ihr? Wo sind eure Kinder und Kindeskinder? Eine Schwundstufe war erreicht.
Die Wüste ist der Ort der Anfechtungen und Versuchungen. Aber auch das Rettende ist nahe. Es führt wieder zur Mitte und ins Wesentliche. In meiner Wüste entdeckte ich die alten Lieder in neuer Weise. Die langen Predigten boten viel Zeit für die Lektüre. Und das Lesen wurde zu meinem Gebet und führte mich zu den Engeln, die ich seit je geliebt und auf dem Weg ins Leben fast verloren hatte. In den Liedern war zu allen Zeiten des Kirchenjahres die Rede von den himmlischen Chören der Engel.
„Alles, was dich preisen kann,
Cherubim und Seraphinen,
stimmen dir ein Loblied an,
alle Engel, die dir dienen,
rufen dir stets ohne Ruh:
‚Heilig, heilig, heilig!’ zu.“
Warum singen die Engel? Gewiss nicht zur Unterhaltung Gottes. Ihr Gesang ist Ausdruck eines Lebens im Wesentlichen: Sie sehen Gott von Angesicht zu Angesicht. Immer haben sie ihn vor Augen. Gott erfüllt sie. Sie können gar nicht anders. Denn Gott singt in ihnen. Diese gottseligen Geister sehen, was uns, solange wir auf Erden sind, verborgen bleibt: Gottes Gegenwart. Ihr Gesang ist die Antwort auf die große Herrlichkeit. Gott ist Schöpfer der sichtbaren und der unsichtbaren Welt. Mag die Gemeinde auf Erden verstummen oder im Eifer der Reformen das Wesentliche aus dem Blick verlieren, die Seraphim und Cherubim mit dem großen Heer der Engel werden unverdrossen den Lobpreis anstimmen.
Die eigene Stimme und den Chorgesang kann man trainieren. Lieder kann man lernen. Doch was die Seele singen macht, ist nicht von dieser Welt. Das „Heilig, heilig, heilig“ der Seraphim und das „Ehre sei Gott in der Höhe!“ der himmlischen Heerscharen bei den Hirten zu Bethlehem ist die Antwort des Geschöpfes auf die Gotteserfahrung.
Die Kirche auf Erden stimmt ein in den Lobgesang der Kirche im Himmel. Mögen unsere Augen gehalten sein und unser Atem kurz werden, die Stimmen matt und verzagt, mag uns ein kalter Schauer ergreifen und die Angst vor einem unseligen Ende, das Gloria und Sanctus der Engel wird nicht verstummen.
Durch den Gesang hatte ich den Weg zu jenen Engeln wiedergefunden, die mich im Werden und Wachsen der Kindheit begleitet hatten: „Guten Abend, gute Nacht, von Englein bewacht“, „Abends, wenn ich schlafen geh’, vierzehn Englein um mich stehn“. Als ich die Lieder an meine Kinder weitergab, wurde ich selbst für den Augenblick des Gesanges wieder Kind. Ist nicht alle wahre Frömmigkeit eine Wiederentdeckung der Kindheit?
1989 wurde ich mit der Ausbildung angehender Religionslehrer betraut. Wie in der religiösen Erziehung der eigenen Kinder stand ich vor der Aufgabe, nicht allein Wissen zu vermitteln, sondern Wege zur Begegnung mit der heimlichen Weisheit der Bibel und der Tradition zu beschreiten.
Gerhard Tersteegen hat dem gemeinsamen Lob von Engel und Mensch in einem Lied Ausdruck verliehen. Es ist wohl eine der besten Gebetsübungen.
„Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten
und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gott ist in der Mitten. Alles in uns schweige
und sich innigst vor ihm beuge.
Wer ihn kennt,
wer ihn nennt,
schlagt die Augen nieder;
kommt, ergebt euch wieder.“
(GL 387.1)
Tersteegen bildet die Mitte jener biographisch und hymnologisch ausgerichteten Engelbücher wie „Breit aus die Flügel beide“ oder „Das große Buch der Engel“, die ich Anfang der Neunziger Jahre im Herder Verlag vorlegte. Ihnen folgten Einladungen zu Einkehrtagen mit den Novizenmeistern und –meisterinnen des Benediktiner- und Zisterzienserorden über das hymnologische Vorbild der Engel für den Lobpreis der Kirche. Die gemeinsame Zeit in den Klöstern Mariastein und Engelberg schenkte mir die Möglichkeit der Teilnahme an den Stundengebeten. Während sich die Mönche hinter der Chorschranke versammelten, saß ich mit den Schwestern im Kirchenschiff. Dann begannen unter Verbeugungen die Psalmengesänge, als folgten sie den Anweisungen von Tersteegen Loblied.
„Gott ist gegenwärtig,
dem die Cherubinen
Tag und Nacht gebücket dienen.
Heilig, heilig, heilig! singen ihm zur Ehre,
aller Engel hohe Chöre.
Herr, vernimm
unsre Stimm,
da auch wir Geringen
unsre Opfer bringen.“
(GL 387.2)
Die Nonnen und Mönche, so hatte es der Heilige Benedikt gewollt, sollen ein Engelleben führen. Doch Menschen sind keine Engel. Engel singen „ohne Ruh“. Wir aber ließen eine Sitzung ausfallen und wanderten bei strahlendem Sonnenschein hinter das Kloster Engelberg, zogen unsere Schuhe aus und badeten die Füße im eiskalten Wasser eines Gebirgsbaches. An einem anderen Tag besuchten wir vor der Vesper die Eissporthalle und spielten Stockschießen – die Patres und Schwestern natürlich im Habit. Aber in der Anbetung traten wir wieder an die Seite des niemals unterbrochenen Lobgesanges der Cherubim und Seraphim.
- Details
- Uwe Wolff
- Klimawandel
- Zugriffe: 9235
Der Mystiker Dionysios Areopagita versuchte als erster das Grundmuster hinter den vielen Engelerscheinungen der Bibel zu erkennen. Da war die Rede von Seraphim und Cherubim, von Thronen (Throni), Herrschaften (Kyriotetes, Dominationes), Kräften oder Mächten (Dynameis, Virtutes) und Gewalten (Exusiai, Potestates), von Fürstentümern (Archai, Principatus), Erzengeln (Archangeloi, Archangeli) und Engeln (Angeloi, Angeli).
Gab es unter ihnen eine Rangordnung? Hatten sie unterschiedliche Aufgaben? Die Bibel gibt nicht auf alle Fragen eine direkte Antwort. Kombinationsgabe und die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen, sind gefragt. Dionysios wagte sich an die Arbeit. Das Ergebnis fand Beifall, weil es mehr Licht in die geheimnisvolle Welt der Engel brachte. Er gliederte die neun Chöre in drei Dreiergruppen und nannte sie „Heilige Ordnung“ oder Hierarchie. Die Zahl der Engelchöre war kein Zufall, denn sie spiegelt dreifach die heilige Zahl Drei. Dieser Bezug auf den dreieinigen Gott ist auch der Grund, warum die Lehre des Dionysios von den Engelforschern der anderen Religionen nicht aufgegriffen wurde. Die neun Chöre beschreiben also den christlichen Himmel.
Wer war Dionysios Areopagita? Der Apostel Paulus hatte auf dem Areopag, einem dem Kriegsgott Ares geweihten Hügelrücken in Athen, gepredigt. Unter seinen Zuhörern befand sich ein Mann mit Namen Dionysios (Apostelgeschichte 17, 34), der Mann vom Areopag. Er folgte Paulus nach. Das ist alles, was wir von ihm wissen. Seine Gestalt wuchs bald ins Legendarische: Dionysios galt als Zeuge der Sonnenfinsternis beim Tode Jesu. Er war beim Tod der Maria gegenwärtig und schloss mit Johannes, Jesu Lieblingsjünger, Freundschaft. Dionysios wird als erster Bischof von Athen und Paris, als Bekehrer Galliens und Schutzpatron der französischen Könige verehrt, als Gründer der Sorbonne und der Reichsabtei Saint-Denis, der Krönungsstätte der französischen Könige. Er wird einer der Vierzehn Nothelfer. Den Märtyrertod findet er in Paris auf dem Mons Martyrium (Montmartre).
Der Autor des Buches über die himmlische Hierarchie der Engel war nicht jener historische Schüler des Paulus gewesen. Darin sind sich Forscher wie Hans Urs von Balthasar oder Bernard McGinn einig. Allein Gerd-Klaus Kaltenbrunner versucht in seinem Buch „Dionysius vom Areopag. Das Unergründliche, die Engel und das Eine“ (1996) den Legenden einen geschichtlichen Kern zu entnehmen. Dionysios war demnach ein Mystiker des 6. Jahrhunderts. Er trägt den Namen „Pseudo-Dionysius Areopagita“ Wahrscheinlich lebte er um 500 in einem syrischen Kloster. Wie kaum ein zweiter Theologe der frühen Kirchengeschichte hat er die Geschichte der Mystik beeinflusst.
Was lehrt der erste Engelforscher? Seine mystische Lehre ist Ausdruck der Schönheit und Herrlichkeit der göttlichen Ordnung und darin zugleich konkrete Lebenshilfe. Mit jedem Satz, den er über die Engel spricht, sagt er etwas über das Wesen des Menschen aus. Wenn er über die himmlischen Hierarchien redet, deckt er zugleich Geheimnisse der menschlichen Seelenordnung auf: 1. Engel und Mensch brauchen eine Mitte, aus der sie leben, die ihnen Kraft gibt und Orientierung schenkt. 2. Es gibt viele Blickrichtungen auf die Mitte. Niemand besitzt die ganze Wahrheit. 3. Im Bild des Engelchores schwebt vor unserem geistigen Auge eine Einheit in der Vielzahl der Stimmen. Eine Einheit, die Toleranz und Achtung vor den Erfahrungen anderer Menschen schenkt. Dionysios hat der Nachwelt ein Meditationsbild geschenkt, an dem sie sich noch im dritten Jahrtausend orientieren kann. Unter den Menschen und Engeln gibt es unterschiedliche Begabungen, sagt dieses Bild. Jede ist wichtig, jede wird gebraucht. Wie zu einem Chor viele Stimmen gehören, so auch zu jeder Partnerschaft, zu jeder Familie, zu jedem Land und zur Weltgemeinschaft. Dionysios sagt: Habe Mut, deine Stimme zu erheben! Du wirst gebraucht! Du bist unverwechselbar!
Papst Gregor der Große und Hildegard von Bingen unterteilten die Welt der Engel in zwei, fünf und zwei Chöre. Mit der Zahl fünf wollte Hildegard auf die fünf Wunden (Stigmata) Christi verweisen. Unstrittig war, dass die Chöre der Engel zur Ehre Gottes jubilierten. Ihr Gesang klinge wie „das Rauschen vieler Wasser“, meinte Ambrosius von Mailand (339–397) in einem etwas ungewöhnlichen Vergleich. Nach der syrischen Jakobusliturgie singen sie mit „heller“ Stimme. Von den „hellen Liedern“ der Engel weiß auch das Weihnachtslied. Ephraim der Syrer (ca. 306–373) spricht von den „Harfenstimmen“ der Engel, das slawische Henochbuch einfach von „sanften“ Stimmen.
Der Chorgesang der Mönche hatte in den Engelchören sein Vorbild. Im frühen Mittelalter waren Liturgieexperten davon überzeugt, dass Engel nicht polyphon singen und ihre Stimmen nicht von Instrumenten begleitet werden. Diese Annahme wurde durch den heiligen Franz von Assissi korrigiert. Er sah einen Engel mit einer Geige. Nicht singen zu können, sagte Thomas von Aquin (1225–1274), sei eine Schande, „da doch die Heiligen mit den Engeln und Erzengeln, mit den Thronen und Herrschaften und mit der ganzen himmlischen Heerschar unaufhörlich täglich das Heilig, Heilig, Heilig singen“.
Vor einem allzumenschlichen Bild vom Gesang der Engel ist jedoch zu warnen. Ihr Lobpreis dient nicht der Unterhaltung Gottes. Engel sind nicht mit der Aufgabe betraut, „dem Herrgott etwas vorzusingen“, betonte bereits 1935 der Engelforscher Erik Peterson in seiner Studie „Das Buch von den Engeln. Stellung und Bedeutung der heiligen Engel im Kultus“:
„Das ist in der Tat eine unerträgliche Vorstellung, und der Wunsch, so etwas eine ganze Ewigkeit zu tun, nicht ohne weiteres begreiflich.“ Singen sei vielmehr ein Bild für die himmlische Lebensform, ein „Verströmen im Lobpreis“, wie es auch die Mystiker ersehnen.
So sind die Chöre der Engel vor allen Dingen ein mystisches Bild der Annäherung an das Geheimnis Gottes und Ausdruck eines beschwingten Lebens, das sich von Gottes Liebe durchdrungen weiß. „Was nützen denn alle Tugenden der Engel“, fragt Peterson, „wenn nicht ihr eigentlichstes Leben, das, wofür sie allein da sind, das, wodurch ihre innerste Seinsform in Schwingung gerät, wenn nicht ihr Gotteslob dem Menschen erreichbar ist?“
Deshalb wollen wir hier den mystischen Weg zum Engelleben (vita angelica), den die neun Chöre der Engel weisen, nachzeichnen.
1. Engel
Die Engel bilden den Außenposten der himmlischen Hierarchie. Wie der Planet Pluto in unserem Sonnensystem, so bewegen sie sich im größten Abstand um die göttliche Mitte. Damit ist kein Werturteil verbunden. Die Außenposition der Engel ergibt sich aus ihrer Aufgabe als Mittler zwischen Himmel und Erde. Engel legen das Fundament der spirituellen Entwicklung. Sie begleiten Menschen und setzen in ihnen positive Energien und Werke des Lichtes frei. Sie erhellen und erleuchten die Seele und erinnern sie an ihre himmlische Heimat. Als Erzieher strahlen sie eine motivierende geistige Schönheit aus. Gott berichten sie von den Fortschritten des Menschen auf seinem Weg der Entdeckung des inneren Lichtes. Engel sind für jeden da, ob Christ oder Atheist. Der Name „Engel„ leitet sich aus ihrem Auftrag ab. Sie sind Boten des Himmels und sollen den Blick der Seele himmelwärts richten.
2. Erzengel
Nachdem die Engel das Licht der Seele erweckt haben, kümmern sich die Erzengel um den weiteren Weg. Ihre Aufgabe ist es, eine Begegnung zwischen der Seele und Christus, dem Licht der Welt, vorzubereiten. So sind Erzengel den Hebammen vergleichbar. Sie bereiten die spirituelle Gottesgeburt im Herzen vor. Auch ihre Aufgabe ist es, dem Blick der Seele eine himmlische Ausrichtung zu geben. Allerdings erweitern sie die Blickrichtung auf Christus. Deshalb werden sie Erzengel genannt. Die Vorsilbe „erz“ hat eine verstärkende Wirkung wie etwa in den Worten „Erzherzog“, „erzgescheit“ oder „erzfaul“. Wie der Erzbischof in der kirchlichen Hierarchie über dem Bischof steht, so der Erzengel in der himmlischen Hierarchie über dem Engel. Allerdings ist mit dem Gedanken der „heiligen Ordnung“ keine Wertung der Person verbunden. Vor Gott sind alle gleich, ob Engel oder Erzengel, Diakone oder Kurienkardinäle.
3. Kräfte
Spirituelle Erfahrungen können ein wohliges Gefühl hinterlassen. Damit dieses nicht in falscher Selbstbezogenheit verglüht oder in Selbstverliebtheit keine Folgen für das Leben hat, gibt es den Dienst der Engel mit dem Namen „Kräfte“. Sie verbreiten die Kraft Gottes und knüpfen unmittelbar an den Dienst der Erzengel an. Das Licht soll nicht unter den Scheffel gestellt werden, und die Stadt auf dem Berge soll leuchten. Deshalb erfüllen die Kräfte das Herz mit brennender Liebe. Sie nähren weiterhin die Flamme des Herzens, indem sie den Menschen eine klare Entscheidung, ein Ja oder Nein abverlangen. Als Wegbegleiter haben sie den Auftrag zu bewirken, dass die Gottesliebe auch Konsequenzen in der Lebensführung hat. Sie schenken Klarheit der inneren Erkenntnis und helfen in allen Anfechtungen.
Kräfte heißen diese Engel, weil sie der Seele Kraft schenken. Sie heißen auch „virtutes“. Die Kräfte sind also Tugenden, die im Menschen angelegt sind, aber durch Engelkräfte geweckt, gefördert und zur Wirksamkeit entfaltet werden müssen. Hinter jeder Tugend steht ein Engel.
Zur Einweihung der Klosterkirche in Rupertsberg durch den Erzbischof von Mainz im Jahre 1152 verfasste Hildegard von Bingen ein Mysterienspiel über das Wirken der Engel-Kräfte (virtutes). Das „Ordo virtutum“ oder „Spiel der Engel-Kräfte“ wurde von den Schwestern des Konvents aufgeführt. 15 Schwestern verkörperten dabei 15 Engel-Tugenden. Da ihre Quersumme 6 (1 + 5) der Anzahl der Tage entspricht, in denen Gott die sichtbare und die unsichtbare Welt geschaffen hat, ist von einer symbolischen Bedeutung auszugehen. Hildegards Engel-Tugenden oder Engel-Kräfte lauten:
Nächstenliebe (caritas)
Gottesfurcht (timor Dei)
Gehorsam (oboedientia)
Glaube (fides)
Keuschheit (castitas)
Unschuld (innocentia)
Weltverachtung (contemptus mundi)
Himmlische Liebe (amor caelestis)
Selbstzucht (disciplina)
Schamhaftigkeit (verecundia)
Mitleid (misericordia)
Sieg (victoria)
Urteilskraft (discretio)
Geduld (patientia)
und als Königin der Tugenden (regina virtutum) die
Demut (humilitas).
4. Mächte
Je stärker das Licht, desto größer die Gefahr des Übermutes. Das hatte der Fall Lucifers gezeigt. Deshalb umkreist der vierte Chor der Engel wie ein mächtiger Schutzschild aus Licht das Geheimnis Gottes. Ähnlich den himmlischen Heerscharen strahlen die Engel des vierten Chores eine große Macht aus. Deshalb werden sie „Mächte“ genannt. In der griechischen Sprache heißen sie „exusiai“. Das Wort kann mit „Vollmacht“ übersetzt werden. Wie alle Engel, so haben auch die Mächte des vierten Chores ihre Macht nicht aus sich selbst. Sie sind „die Bevollmächtigten Gottes“. Ihre Aufgabe ist die Bewahrung der Unergründlichkeit Gottes vor allzu großer Neugierde des Menschen.
Die Mächte Gottes haben also im spirituellen Prozess nach den ersten drei Stufen die wichtige Funktion der Grenzziehung. Mit schnellem Schritt und Himmelsstürmerei kommt die Seele dem Geheimnis der Mitte nicht näher. So lehren die Mächte eine wichtige weitere Voraussetzung auf dem Weg zur Mitte. Es ist die Haltung der Ehrfurcht. Ohne sie hat kein Gemeinwesen Bestand. Deshalb folgen den Mächten als Engeln der Ehrfurcht die Engel der politischen Ordnung oder Fürstentümer.
5. Fürstentümer
Die Engel-Fürsten sind um das Wohlergehen der Menschen in den politischen Gemeinden besorgt. Die Mitglieder des fünften Chores sind keine Volksvertreter, sie werden nicht gewählt, sondern auf Lebenszeit berufen. Dieser Ruf beinhaltet eine Verpflichtung. Denn alle Herrschaft ist ein Lehen, und derjenige, der sie verliehen hat, wird Rechenschaft einfordern. Fürstentümer oder Engel-Fürsten sind in besonderer Weise Vorbild für alle Menschen, die sich politisch engagieren. Sie sind temperamentvoll, erfüllt von glühendem Eifer für die Wahrheit, sie lehren Gerechtigkeit, Beständigkeit und die Ausrichtung der Politik am Vorbild christlicher Nächstenliebe.
6. Herrschaften
Im Wilhelminischen Deutschland gab es in Hotels und öffentlichen Gebäuden gelegentlich zwei Eingänge. Vor dem eleganteren war ein Schild mit der Aufschrift: „Nur für Herrschaften!“ angebracht. Mit diesen Herrschaften haben die gleichnamigen Engel des sechsten Chores nichts gemein. Der Blick auf die griechische (kyriotetes) oder lateinische (dominationes) Bezeichnung erhellt ihr Wesen. „Kyrios“, „dominus“ oder „Herr“ ist einer der Titel, mit denen die Evangelien Christus bezeichnet haben. Christus ist gekommen, um den Menschen aufzurichten, ihm seine Würde und das Licht der Vernunft wiederzugeben. Daran will der Name „Herrschaften“ erinnern. Die Engel des sechsten Chores fallen durch ihre äußere Erscheinung besonders auf. Sie tragen einen Helm und eine Tunika. Als einzige Engel haben sie nicht nur ein Menschenantlitz, sondern auch Menschenfüße. Sie sind ein Bild des edlen Wesenskernes des Menschen. Der Mensch ist von Gott gut und mit schöner Gestalt geschaffen worden. Christus hat den Menschen aufgerichtet zu einer Herrschaft im Dienste Gottes. Hochherzigkeit, Adel der Seele und das Licht der Vernunft gehören zum Wesen des Menschen.
Heute ist die Vorbildfunktion der Herrschaften besonders in der Wissenschaft notwendig. Sie müssen darauf achten, dass die Gabe der Vernunft im Dienste der Menschlichkeit steht und weder von Biotechnologen noch von Atomphysikern missbraucht wird.
7. Throne
Auf dem himmlischen Thron sitzt Gott. Wenn die Engel nun „Throne“ genannt werden, schwingen zwei Bedeutungen mit: zum einen ihre Nähe zu Gott, zum anderen leuchtet in ihrem Spiegel das Bild des Tragens auf. Throne sind „Gottesträger“, deshalb werden sie auch mit Maria verglichen, die Gottes Sohn in ihrem Leib getragen hat. Die Throne erglühen wie das Morgenrot, sie kündigen die Geburt eines neuen Tages an. Mit dem siebten Chor der Engel kommt die Seele der göttlichen Mitte immer näher. Auch sie soll ja Gottesträger oder Thron Gottes werden.
8. Cherubim
Die Cherubim im achten Chor der Engel symbolisieren eine Spiritualität der vollkommenen Hingabe an die Gottesliebe, die kaum mehr durch einen Blick auf die vergängliche irdische Welt abgelenkt wird. Auf Erden gleichen ihnen die Propheten, Mystiker und alle Menschen, die sich Visionen öffnen und zu träumen wagen. Sie sind eine Feder auf dem Odem Gottes. Cherubim haben sechs Flügel voller Augen. Sie besitzen die Fülle des Wissens, ihr Blick durchdringt alles und schaut auf den Kern der Dinge. Auch wir sollen uns auf dem Weg zur Mitte von keiner Äußerlichkeit ablenken lassen und uns auf das Wesentliche konzentrieren.
9. Seraphim
Das Wesen der Seraphim ist flammende Liebe und glühende Begeisterung für Gott. Seraphim haben die Aufgabe, das Feuer der Gottesliebe zu entfachen. Menschen, die vom Geist der Seraphim durchdrungen sind, werden „seraphisch“ genannt. So war Franz von Assisi (s. dort) ein seraphischer Heiliger. Von einem Seraph erhielt er die Stigmata Jesu. Mit ihrer flammenden Liebe entzünden die Seraphim den Herzensgrund. In der Osternacht geht der griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem mit Kerzen in das dunkle heilige Grab. Nach einem Gebet tritt er mit brennenden Kerzen wieder vor die Gemeinde. Es heißt, ein Seraph habe sie entzündet. Seraphim stehen in der Engelhierarchie an erster Stelle. Daran erinnert von ferne der in Schweden verliehene Seraphinenorden mit dem Blauen Band, die höchste Auszeichnung durch das Königshaus.
Hildegard von Bingen, die Nonne vom Kloster Rupertsberg gehört zu den bekanntesten und populärsten Heiligen des Mittelalters. Ihre Bücher über Heilkunst, die Magie der Farben und Edelsteine, über die rechte Ernährung und die Kunst des Fastens sind weit verbreitet. Ihre Musik, die Hymnen und das Seelendrama „Ordo Virtutum“ finden sich auf zahlreichen Tonträgern. Die Engel nehmen in Hildegards (1098-1179) Denken und in ihrer Spiritualität eine zentrale Rolle ein.
Seit ihrer frühen Kindheit hat die Benediktinerin „himmlische Gesichte“. Doch wagt sie nicht darüber zu sprechen. Die Zeit, in der sie lebt, ist von reformerischen Bewegungen geprägt. Ein neuer Geist soll die alte Kirche durchwehen. Viele berufen sich auf Visionen. Doch woher kommen die Gesichte? Sind sie vom Himmel inspiriert oder von der Hölle? Hildegard hat es als Frau doppelt schwer. Sie schweigt, unterdrückt die Stimme des Himmels in ihrer Seele und wird krank. Kein Wunder. Uns geht es nicht anders, wenn wir unsere Träume, Hoffnungen und Visionen nicht leben dürfen.
„Ich weigerte mich zu schreiben. Nicht aus Hartnäckigkeit, sondern aus dem Empfinden meiner Unfähigkeit, wegen der Zweifelsucht, des Achselzuckens und des mannigfachen Geredes der Menschen, bis Gottes Geißel mich auf das Krankenlager warf“, schreibt sie später in ihrem Buch „Scivias“ (Wisse die Wege). Erst 1141 im Alter von 43 Jahren findet sie den Mut, mit ihren Visionen an die Öffentlichkeit zu gehen. Auch hier erlebt sie Typisches. Das Lebensalter zwischen 35 und 50 Jahren ist eine wichtige Phase des „spirituellen Coming out“. Endlich wächst der Mut, zu den eigenen Gefühlen und Erfahrungen zu stehen, endlich erstarkt der Wille, wesentlich zu werden! Unter Berufung auf den Propheten Jeremias, den Apostel Paulus und Johannes, den Lieblingsjünger Jesu, wagt auch Hildegard diejenige zu sein, die sie ist: ein Mensch mit dem großen Reichtum innerer Bilder.
Als Benediktinerin führt Hildegard ein „Engelleben“, wie es der Ordensgründer verlangt hatte. Selbstverständlich kennt sieBenedikts Deutung von Jakobs Traum als Tugendleiter und die klassische Lehre von den neun himmlischen Chören der Engel des Dionysios Areopagita. Hildegard entwirft keine neue Engellehre, sondern durchdringt mit glühender Seele und einer Leidenschaft des Geistes die Welt der Engel, meditiert sie in der Stille und setzt gelegentlich eigene Akzente. Man merkt es ihrer Sprache an. „Heilige Engel! Tiefgeneigt vor der Gottheit, lodernd in Sehnsuchtsgluten!“ – das ist fast eine Selbstbeschreibung. Wenn wir uns auf die Welt der Engel einlassen, dann schwingt unser ganzes Wesen mit. Kein Wunder, denn auch in uns ist das Licht des Himmels verborgen und will leuchten wie ein strahlender Diamant in der innersten Kammer des Herzens. Den Engel erkennen, ist auch ein Wiedererkennen dieses Edelsteines der Seele.
Engel sind Lichtgestalten, sie singen den immerwährenden Lobpreis Gottes, sie sind Spiegel Gottes, geschaffen aus Licht am ersten Schöpfungstag. Sie sind die älteren Geschwister der Menschen, wie Hildegard am Beispiel der Geschichte vom verlorenen Sohn ausführt: Während der Mensch, verkörpert durch den verlorenen Sohn, Gott verlässt und in die Fremde geht, stehen die Engel treu an der Seite ihres Schöpfers. Doch war das nicht immer so. Hildegard fasst den Sturz der Engel so zusammen: „Als Gott sprach: Es werde Licht!, da entstand Licht der Vernunft. Das sind die Engel. Das sind jene Engel, die in Wahrheit Gott die Treue hielten, jene aber auch, die in die äußerste Finsternis ohne alles Licht gefallen waren, weil sie nicht wahrhaben wollten, dass das wahre Licht, das in Ewigkeit vor allem Ursprung in Klarheit weste, Gott sei, und weil sie etwas Ihm ähnliches ins Werk setzen wollten, dessen Existenz unmöglich war.“ Als Ersatz für die gefallenen Engel schafft Gott den Menschen. Ihm gibt er das Licht, das Lucifer und seine Engel in ihrer Rebellion gegen Gott missbraucht hatten. „So gab Ich den Glanz, der von dem ersten Engel wich, dem Menschen, Adam und seinem Geschlecht“ (Scivias III.1).
Mensch und Engel sind Träger des göttlichen Lichtes. Von ihrer geheimnisvollen Verbundenheit berichtet Hildegard in ihrer berühmten Vision der neun himmlischen Chöre (Scivias I.6). Ihr Gesicht ist zu einem berühmten Meditationsbild geworden: Sie sieht die Engel das Geheimnis der göttlichen Mitte umkreisen und dabei in vielstimmiger Weise singen. Das Thema ihres Gesanges sind die Wunder, die Gott durch sie in den Seelen der Menschen wirkt. Hildegards Engel sind Widerhall, Resonanz und Spiegel von Gottes Werk. Ihr Dienst ist eine „Rückmeldung“ von der Erde. Wenn sie die guten Taten der Menschen melden, dann verherrlichen sie damit Gott, denn er ist der Urheber alles Guten. Der vielstimmige Engelgesang ist ein Abbild der Harmonie, die nach Gottes Willen die gesamte Welt durchwalten soll.
- Details
- Uwe Wolff
- Klimawandel
- Zugriffe: 1624
Der Chor tritt bald auf
*
"Tanze, du Erde, vor dem Antlitz des Gottes Jakobs."
(GL 63.1)
*
"Quid beatius esse potest,
quam in terra tripudium Angelorum imitari!"
Basilius der Große an Greogor von Nazianz (I.2)
*
Motette Nr. 77 aus dem Codex Chantilly:
Angelorum psalat tripudium
"Angelorum psalat tripudium
musicorum pandens armoniam
orpheycam plectens sinphoniam
procul pellens Vanum fastidium
qui operum fuit inicium
delictorum frangens constanciam
duplicatum ostendens animum
pomum prebens Cunctis letiferum
Ista gerit vices luciferi
que principi suppremo voluit
coequa(r)li set tandem corruit
In profundum abissi Inferi(ri)
Pestifera in qua superbia
Ingrata es Deo et homini
in retro mordens ut fera Pessima
ante blandis ut faus Innocui"
*
tripudium ist ein Tanzschritt
*
"Fröhlich soll mein Herze springen (=tanzen)
dieser Zeit, da vor Freud alle Engel singen.
Hört, hört wie mit vollen Chören
alle Luft laute ruft:
Christus ist geboren!"
Paul Gerhardt
*
"Die himmlische Liturgie ragt direkt in die irdische hinein.
Das Göttliche wird in den Kreis der versammelten Gemeinde herabgezogen,
Christus ist in einer Epiphanie zugegen,
die der Fromme 'sieht' und 'hört'."
Reinhold Hammerstein. Die Musik der Engel.
Francke Verlag. Bern und München 1962. S. 30
- Details
- Uwe Wolff
- Klimawandel
- Zugriffe: 3365
Munsalvaesche und Marienheide liegen verborgen in den Wäldern.
+Josef Homeyer (1929-2010) wollte einst die Gründung dieses Klosters.
Einige seiner Zeitgenossen freuten sich sehr darüber,
andere witterten die Reconquista.
"Ungeduld und Rastlosigkeit"
bescheinigte dem Bischof von Hildesheim sein Biograph Michael Lukas.
Gott sah es ähnlich.
Zur Erprobung seiner Geduld (patientia)
sandte er ihm zehn Schwestern:
Marie Ange, Adele, Brunel, Fides, Hildegund, Mareike.
Marikel, Pacificia und Theresita.
Kein Ort im Bistum Hildesheim war ihnen recht,
und als alles im "Anwesen Hertel"
bei Neuenkirchen in der Lüneburger Heide gerichtet schien,
da war es doch nicht richtig.
Engel gehen keine Kompromisse ein.
*
"In den Kartäusern bewundere ich Menschen,
die sich vom Fetisch des Fortschritts niemals bezaubern ließen,
die stark genug waren, sich auch heute noch in ihrer ureigensten Berufung zu halten,
auf einer Höhe, die sich nur wenig von dem Ausgangspunkt entfernt hat."
Emil Baumann. Die Kartäuser.
*
Wegweiser zum Kloster Marienheide gibt es nicht.
Kilometerweit durch einsame Gegend führt der Feldweg.
"Wenn Du das Gefühl hast, es gehe nicht mehr weiter,"
sagt mir der Wanderer,
"dann bist Du richtig. Du musst einfach weiter fahren.
So wirst Du das Kloster erreichen."
Die Nonnen stehen in der Tradition der Kartäuser.
Tabor und Golgatha:
In der Vesper erinnern die Schwestern an die zwei Berge Christi.
Auf dem Tabor wurde die Gestalt Christi verklärt -
weißer als alles Weiß, das Menschenhand durch Bleichung herstellen kann.
Weißer als weiß ist der Habit der Nonnen.
Er ist beides: Gewand der Verklärung, Gewand des Todes.
Die Schwestern werden in ihren weißen Gewändern beerdigt werden.
*
"Stat crux, dum volvitur orbis"
Kloster Marienheide liegt am Ende der Welt.
Wir denken an Parzival in Soltane
und an die Inklusin Sigune mit Schionatulander,
das Urbild der Pieta.
Schon einmal herrschte hier Aufbruchstimmung,
als sich Deutschlands Jugend auf dem Hohen Meissner (13./14. Oktober 1913)
zum Freideutschen Jugendtag traf.
Unweit des Klosters steht Burg Ludwigstein. Es beherbergt das Archiv der deutschen Jugendbewegung.
Auf einer Bronzetafel dieser Burg der Wandervögel lesen wir:
"Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung
von eigner Verantwortung in innerer Wahrhaftigkeit
ihr Leben gestalten!
Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.
Alle gemeinschaftlichen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei."
Nur Weihrauchdämpfe erfüllen die Kirche,
und Alkohol nehmen die Schwestern nur beim Messopfer zu sich,
wenn mal ein Priester den Weg zu Ihnen in die Einöde findet.
Kloster Marienheide weiß sich auch der russischen orthodoxen Tradition verbunden.
Ikonen überall.
Eine Nachbildung der Dreieinigkeit von Rubljev in der Gästekapelle.
Nonnen führen ein Engelleben auf Erden.
Tritt ein!
Auf dem Tischchen
stehen Weihwasserfläschchen.
Ein Geschenk der Schwestern an die Besucher.
Das Chorgestühl mit kleinen Ikonen.
Jede Ikone ist ein Fenster zum Himmel.
Mit den Knieen des Herzens beten.
Besucher schauen von der Empore in die Kirche.
Vesperläuten.
Die Schwestern bekreuzigen sich immer wieder.
Dabei berühren sie mit der Rechten den Boden.
Die Metanie hält den Körper geschmeidig und beugt Rückenproblemen vor.
Die Gastschwester beweist es nach der Vesper.
Um den Weg vom Gästehaus zur Kirche abzukürzen,
springt sie mit mädchenhafter Leichtigkeit über ein Mäuerchen.
So geht Dynamik von Geist, Leib und Seele!
Am Ende der Vesper liegen einige Schwestern auf dem nackten Boden
und verharren in der weißen Stille.
Ob sie Fußbodenheizung haben?
Die Kirche ist warm. Heizkörper sind nicht zu sehen.
Hier könnte man auch gut Tango tanzen, denke ich.
In der Kirche tanzen sie nicht, sagt später die Schwester.
Aber was jede einzelne in ihrer Zelle mache,
gehe nur sie etwas an.
Die Schwestern verbringen ihr Leben in ihren Zellen.
Hier nehmen sie auch einmal am Tage eine Mahlzeit zu sich.
Drei Mal am Tag treffen sie sich in der Kirche
zu Laudes, Vesper und Messe.
Der Montag ist Wüstentag.
Da bleibt jede mit ihrem Schutzengel allein.
Die Berührung der Erde ("humus") beim Schlagen des Kreuzes
sei Ausdruck der Demut ("humilitas"),
erklärt mir später eine Freundin.
Bei Besuchen in Ostkirchen sei sie noch immer sehr beeindruckt,
wenn sie die Geschwindigkeit und Leichtigkeit der Bewegung erlebe.
Die Nonnen strahlen eine große Heiterkeit aus.
Ihre Bekreuzigung ist die paradoxe Einswerdung von größter Demut
und souveräner aufrechter Haltung.
Wie schaffen sie das?
Kartäuserinnen verlassen ihr Kloster nie mehr.
Kein anderes Telephon als das Handy des Herzens,
keine e-mail als das Gebet.
Wer braucht mehr?
Schauen sie Filme an?
Zum Beispiel Philipp Grönings "Die große Stille"?
Nein, natürlich nicht. Sie leben ja in der Stille.
Aber vor einem Jahre haben sie einen Film über Paul VI. gesehen.
Warum gerade Paul VI. und nicht Johannes Paul II.?
Ich frage nicht.
Aber ich verrate die Nummer, die weiterhilft.
+Josef hatte die Schwestern gerufen.
Sie kamen und gingen weiter in ein anderes Bistum.
Da war +Josef richtig sauer.
Dann wuchs er über sich hinaus
und freute sich.
Später beugte er sein Haupt.